Wir würden so langsam gern mal wieder in die Vereinigten Staaten von Amerika reisen, aber noch fehlt uns die Zeit und das nötige Kleingeld dazu. Eine Flugreise ist ja vom Klima her nicht mehr so opportun, zum Schwimmen fehlt uns die Kraft und Ausdauer, also bleibt das Schiff. Das hat uns beim letzten Mal besonders gut gefallen. Die günstigen Passagen gibt es aber nur zu Zeiten, an denen wir ganz bestimmt keinen Urlaub bekommen. Also versuchen wir, uns in diesem Sommer die USA ein bisschen zu uns zu holen.
Wir starten mit einem Teil, der uns schon immer sehr gut gefiel, mit der Musik. Das New Century Chamber Orchestra aus San Francisco (seit 2017 die Partnerstadt Kiels) gastierte mit dem Stargeiger Daniel Hope im Rahmen des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals in Büdelsdorf mit einem Programm quer durch die amerikanische Kunstmusik des 20. Jahrhunderts. Das Kammerorchester setzt sich aus international renommierten Musiker*innen zusammen, die an der amerikanischen Westküste leben und arbeiten.
Das Programm startete mit Auszügen aus „Old American Songs“ von Aaron Copland (1900-1990), in denen er insgesamt zehn Lieder aus dem Repertoire der Old-Time Music, z.B. Scheunentänze arrangierte; gefolgt vom „Adagio for Strings“ von Samuel Barber (1910-1981), dem wohl traurigsten Quartettsatz der Welt, denn es wurde seit seiner Uraufführung 1938 gern bei Beerdigungen gespielt, z.B. bei der von John F. Kennedy, von Roosevelt und auch bei der von Lady Di.
Danach begrüßte Daniel Hope das Publikum mit einem kräftigen „Moin!“ und setzte seine Moderationen in einem nahezu akzentfreien Deutsch fort (bevor man angesichts des eigenen Akzents im Englischen neidisch wird: er lebt seit Jahren in Wien bzw. Berlin).
Vor der Pause spielten sie noch eine neue Suite, die das Orchester bei Paul Bateman, einem britischen Dirigenten und Arrangeur in Auftrag gegeben hatte: die West Side Story Suite aus sechs Stücken von Leonard Bernstein (1918-1990) (Uraufführung Anfang Mai diesen Jahres). Es war wohl schwierig, die Erben davon zu überzeugen, aber letztendlich waren Ausdauer und das hohe Renommee von Orchester und Geiger wohl überzeugend für die Nachlassverwalter.
Nach der Pause wurden alle folgenden Stücke einzeln angesagt und auch erklärt, scheint aufgrund der ungewohnteren Tonalität auch für ein Klassikpublikum notwendig zu sein, denn zu „Echorus“ von Philip Glass (*1937) hieß es nach der Erläuterung, dass alle Gruppen unterschiedlich und versetzt spielen: „Wenn es irgendwann alles gleich klingt, haben wir uns mit großer Wahrscheinlichkeit verspielt.“ Davor gab es noch den ersten Teil aus John Adams’ (*1947) „Shaker Loops“ zu hören. Beide Komponisten sind Vertreter der Minimal Music, in der einfache, sich wiederholende Muster (patterns) z.T. kaum wahrnehmbar verändert werden, ganz großartige Musikstücke.
Beendet wurde das Programm mit einer weiteren Bearbeitung von Paul Bateman: George Gershwins (1898-1937) Suite of Songs, in der fünf seiner berühmtesten Songs für Violine und Streichorchester zu Gehör kamen. Die Bearbeitung sollte im Stil einer Jazzband ausgeführt werden. So spielten die Streicher wie Bläsersätze in einer Bigband, Daniel Hope im Stil von Stéphane Grappelli und der Kontrabassist stand vorne. Auch hierzu gab es eine launige Geschichte von Daniel Hope zu hören: alle waren sehr froh, dass der Bass mit auf der Bühne steht, denn auf dem Weg von Amerika nach Europa mit Air Lingus ging das Instrument verloren, tourte ihnen den Bassmann einige Tage durch Europa, bevor er dann glücklicherweise wieder auftauchte.
Der Abend endete mit donnerndem Applaus und zwei Zugaben, nach denen das Publikum aber immer noch nicht gehen wollte. Dann intonierte Daniel Hope solo das Lied „Guten Abend, gute Nacht“ und das gesamte Publikum summte und sang die erste Strophe leise mit. Das war ein wirklich eindrucksvolles Ende eines tollen Abends.