Endlich schaukelt es nicht mehr so sehr. Das Frühstück im Restaurant schmeckt nun auch wieder ohne vorherige Einnahme der Sea-Sick-Tablette. Dafür scheint entweder das Geschaukel oder die Aussicht auf noch einen weiteren Tag auf See einigen Leuten so gehörig auf den Magen zu schlagen, das nimmt im weiteren Verlauf skurrile Ausmaße an.
Immer zum Abendessen treffen wir wieder auf Mike und Summer sowie auf Hannah und Thomas. Die ersten Abende haben wir uns trotz der großen Altersunterschiede immer ganz angeregt unterhalten. Mike ist Mitte 70 und auf einer Farm aufgewachsen. Daher weiß er alles über Pflanzen und Tiere (Dieser für ihn unumstößliche Fakt wird später noch wichtig werden.). Mit 25 Jahren ist er mit der Army nach Korea gegangen, nicht ohne die Anweisung seines Vaters, auf keinen Fall dort zu heiraten. Diese Anweisung hat er dann, als einzige natürlich jemals in seinem Leben, nicht befolgt. Es dauerte nicht lang, da war er nicht nur verheiratet, sondern hatte auch einen Sohn. Sicherheitshalber ist er erst danach wieder in die Staaten zurückgekehrt und bei seinem Vater vorstellig geworden.
Der war entzückt von Enkel und Schwiegertochter, obwohl diese gut 10 Jahre älter als sein Sohn ist. Nun sind die beiden schon mehr als fünfzig Jahre verheiratet und er ist voll des Lobes, wieviel Glück er im Leben mit seiner Frau hatte. Summer spricht stets sehr, sehr leise, und ihr Englisch ist eigentlich nicht zu verstehen. So spricht Mike immer, und das meint genau das: immer, ständig, quasi ununterbrochen, sich dabei wiederholend.
Dieses Mal jedoch herrscht Mike die Kellnerin an und lässt sein bestelltes Essen zurückgehen. Die Kellnerin reagiert cool, sie informiert ihren superviser, der sich um die wütenden Gäste kümmert. Was genau das Problem sein soll, bekommt auch der nicht heraus, denn genau das Essen hatten sie bestellt. Anschließend sind beide auffallend still und schaufeln das alternative Essen mehr oder weniger in sich hinein, maulen herum und verschwinden, bevor wir mit dem Hauptgang fertig sind. Man wundert sich.
Ab dem Abend bestellen sie nur noch New York Strip Steak, denn alle anderen Gerichte mit den komischen Namen könne man nicht essen. Schließlich sei man auf einem amerikanischen Schiff. Seid zwanzig Jahren würde es kontinuierlich abwärts gehen mit den Menüs. Jedem das seine! Uns anderen gefällt die abwechslungsreiche Speisekarte sehr gut. Wir sind auch in der Lage, Begriffe wie Carpaccio, Risotto, vegan spaghetti, Flan Catalan usw. zu dekodieren. Der Oberkellner (unsere head waitress verweigert den Kontakt zu Mike) erkundigt sich während des Essens bei Mike: „How is your steak, Sir?“ und erhält die kurzangebundene Antwort: „It‘s a piece of meat.“ Allen anderen bleibt nicht nur die Luft weg, sondern fast auch der Bissen im Halse stecken ob dieser grob unhöflichen Antwort.
An den nächsten Abenden tauchen die beiden glücklicherweise nicht mehr an unserem gemeinsamen Tisch auf. Es ist auch keiner wirklich traurig darüber. Die Unterhaltungen sind gleich viel lockerer und witziger.
Und dann sind sie plötzlich wieder da, komplett ausgewechselt und wieder fröhlich. Es steht eine Flasche Wein im Weinkühler an Mikes Seite. Und er ist happy to share it mit uns anderen am Tisch. Der Wein ist gut. Bekommen hat er sie, da er (nun folgt seine Sicht der Dinge) endlich mal Tacheles mit dem Restaurantchef geredet hätte, dass die Menüauswahl so wirklich nicht gehen könne. Der Chef hätte das total eingesehen und ihm als Zeichen seines guten Willens die Flasche Wein zukommen lassen.
Wer‘s glaubt! Unsere head waitress darf ihn nun auch wieder bedienen. Sie erzählt uns später ihre Sicht: Mike hätte sich wiederholt (wie eigentlich auf jeder Kreuzfahrt) beschwert und um ihn zu beruhigen, hätte man ihm den Wein gegeben. Wie auch immer, es scheint geholfen zu haben. Die restlichen Abende sitzen Mike und Summer wieder am Tisch, haben recht gute Laune und essen nun auch andere Dinge als ausschließlich das New York Rib Steak.