Halifax/ Nova Scotia, Kanada, cruise day 14, part one: Unglücke (Anthem, Oktober 2023)

Statt auf Bermuda sind wir nun in Halifax, der Hauptstadt der Provinz (und Halbinsel) Nova Scotia angekommen. Morgens ist es noch kühl und der Wecker klingelt bereits um sieben Uhr. Nach einem schnellen Frühstück im Windjammer, wo es bereits ziemlich voll ist, flitzen wir auf die Kabine, machen uns abmarschbereit und verlassen das Schiff. Yeah, es fühlt sich gut an, nach den sechs Tagen auf See.

Im Terminalgebäude (im Hintergrund des Fotos ist unser Schiff zu sehen) gibt es free wifi, aber wir müssen hinaus, um unsere Tickets der shore excursion für die HopOn-HopOff Tour in einen Sticker und den Fahrplan für die Busstrecke umzutauschen.

Es ist 8:30 Uhr, mit Leggings und Strickjacke lässt es sich auch im Sommerkleidchen aushalten. Immerhin ist es Ende Oktober und wir sind in Kanada. Der Bus ist voll, wir sitzen in dem alten Londoner Doppeldecker oben und fahren erst einmal die ganze Strecke ab.

Das dauert 90 Minuten und man erhält einen guten Überblick, was man gern genauer ansehen möchte. Der Guide erzählt eine Unmenge Infos, Fakten und Geschichten, die man sich gar nicht alle merken kann. Am eindrucksvollsten sind zunächst die Geschichten zur Titanic und zur Halifax Explosion.

Zuerst kommen wir auf der Tour durch den Historic Hydrostone District. Das sieht heute ganz hübsch aus, die Häuser auf dem fast 9,5 ha großen Areal sind maximal zweistöckig, die Straßen von Bäumen gesäumt. Doch die Entstehung des Stadtteiles hat einen höchst dramatischen Hintergrund:

Anfang Dezember 1917 ereignete sich die für die Bevölkerung Halifax’ traumatische Explosion, eine der größten nichtnatürlichen und nichtnuklearen Explosionen der Welt. Es herrscht Krieg in Europa, Halifax ist ein bedeutender Nachschubhafen der Alliierten. Der Hafen ist nachts durch Netze vor Angriffen der deutschen Ubootflotte gesichert. Ein vom Belgischen Hilfswerk gecharterter Frachter mit dem Ziel New York liegt zum Kohlebunkern im Hafen. Das Bunkern verzögerte sich am Vorabend, so kann der Frachter nicht mehr vor der nächtlichen Sperre auslaufen. Ein französischer Frachter, aus New York kommend, läuft Halifax an, um sich dort einem Konvoi nach Europa anzuschließen. Er hat eine brisante Fracht geladen: 200 t TNT, 63 t Schießbaumwolle, 2.300 t einer explosiven Säure und dann noch 35 t leicht entflammbares Benzol, das in Fässern auf dem Oberdeck verstaut war. Leider ist diese Ladung am Schiff nicht entsprechend gekennzeichnet worden. Der Frachter kam am Vorabend zu spät an, um sich vor der nächtlichen Sperre durch die Netze noch dem Konvoi anschließen zu können.

Früh am nächsten Morgen haben es nun alle eilig, der Frachter des Belgischen Hilfswerks besonders, er fährt sehr schnell. Trotz Lotsen an Bord fahren beide Schiffe nicht auf den korrekten Routen, da sie wiederum anderen kleineren Schiffen ausweichen müssen. Beide Frachter realisieren zu spät, dass sie sich auf Kollisionskurs befinden. Sie schalten ihre Motoren zwar „in den Rückwärtsgang“, können den Zusammenstoß aber nicht mehr verhindern. Der ist zwar nicht stark, aber der aufeinandertreffende Stahl schlägt Funken. Durch den Zusammenstoß kippen die mit Benzol gefüllten Fässer auf dem Oberdeck um, laufen aus, und die Flüssigkeit beginnt durch den Funkenflug zu brennen. Die Mannschaft rettet sich durch den Sprung ins Wasser. Einige warnen die Menschen an Land vor der kommenden Katastrophe, leider sprechen sie nur Französisch und die Kanadier nur Englisch. So beobachten viele Schaulustige, wie das brennende Schiff langsam auf die Pier zutreibt. Nach zwanzig Minuten hat das Feuer den Frachtraum erreicht, und das Schiff explodiert in einem gigantischen Feuerball. Durch die Druckwelle wird der andere Frachter auf die gegenüber liegende Seite des Beckens an Land gesetzt. Der Ankerschaft des französischen Frachters wird fast vier Kilometer weit weg geschleudert. Im Umkreis von 70 Kilometern gehen die Fensterscheiben zu Bruch. Die Druckwelle vertreibt das Wasser aus dem Hafenbecken, der Meeresboden ist tatsächlich kurz zu sehen, bevor eine riesige Flutwelle tsunamiartig zurückströmt.

Blitzartig wird ein kompletter Stadtteil dem Erdboden gleichgemacht. Mehr als 1600 Menschen verlieren ihr Leben, sofort, darunter die gesamte Bevölkerung der Mi‘kmaq, die noch in Halifax siedelten. 9000 Menschen werden verletzt, davon erliegen 300 später ihren Verletzungen. Durch die herumfliegenden Glasscherben gibt es fast 5.000 Augenverletzungen, etliche Personen erblinden ganz. In der Folge entwickelt sich Halifax zu einem Zentrum der Augenheilkunde. 6.000 Menschen sind wohnungslos, weitere 25.000 Menschen müssen in Unterkünften ausharren. Am Tag nach dem Unglück fegt ein Blizzard über Halifax hinweg. Trotz der schnellen Hilfe, die vor allem aus Boston, USA kommt, sind einen Monat später noch 5000 Menschen ohne Wohnungen. Ein neuer Stadtteil wird geplant und gebaut, die Häuser aus einem neu entwickelten, nicht brennbaren Baustoff, Hydrostone, der dem Stadtteil heute seinen Namen gibt.

Das andere traumatische Ereignis ist zum Zeitpunkt der Explosion gerade erst fünf Jahre her. Im April 1912 sank die Titanic, von Halifax aus werden Schiffe zur Bergung der Leichen zur Unglücksstelle geschickt. Gesundheitsbestimmungen erfordern es, dass die Leichen vor Einfuhr nach Halifax einbalsamiert werden müssen. Die Menge an Toten überfordert die Kapazitäten an Bord, sodass viele Leichen an Ort und Stelle seebestattet werden. Von den 333 einbalsamierten Körpern wird fast die Hälfte in Halifax bestattet, die meisten davon auf dem Fairview Lawn Cemetry, den wir als als dem nächsten Stopp der Sightseeingtour anfahren. Die meisten der 121 Grabsteine tragen nur eine Nummer und das Todesdatum, da die Leichen nicht identifiziert werden können.

Einer der Grabsteine ist 2007 erneuert worden. Fortschritte in der DNA-Forschung führen dazu, dass das „unbekannte Kind“ identifiziert werden kann. Die Schiffsbesatzung, die das Kleinkind tot aus dem Wasser bargen, bezahlten damals gemeinschaftlich für den ersten Grabstein, den Sarg und die Beerdigung.

Am Boardwalk steht ein Denkmal für Samuel Cunard, in Halifax geborener erfolgreicher Geschäftsmann. Er gründete u.a. die Halifax Steamboat Company und später in Großbritannien, nachdem er dort erfolgreich Investoren gefunden hatte, die nach ihm benannte Cunard Steamships limited. Samuel Cunard war der erste, der seine Schiffe im Transatlantischen Verkehr einsetzte.

Er lebte abwechselnd in Halifax und England, wo er auch starb. Es war das Cunard-Schiff RMS Carpathia, das als einziges Schiff in der Nähe auf die Hilferufe der Titanic reagierte, die Überlebenden an Bord nahm und nach New York, dem Zielhafen der Titanic, brachte.

Hinterlasse einen Kommentar