Gelände-Kur, Abschlussprüfung: freies Kombinieren

Und das ging so:

Man nehme einen gegebenen Zielpunkt, die Randbedingung „Finde möglichst viel bisher unbekanntes bzw. neues.“ und stelle die Wahl der Wanderwege frei.

Um es vorweg zu nehmen, wir haben die Prüfung natürlich mit Bravour bestanden. Der Lohn war gutes Wetter während der Wanderung, viele Bilder für das Album und Sonnenschein am Abend.

Unser Zielpunkt war wieder die Ausflugsgaststätte ‚Diana‚, aber wir wollten diesmal anders gehen als beim letzten Mal. Es führen aber nur wenige ausgeschilderte Wanderwege dorthin. So haben wir uns für den Weg Nr. 9 entschieden, den aber quasi mittendrin unterbrochen, um auf Nr. 13 wieder zur Diana zu kommen. Nach der Pause ging es zurück zur Nr. 9, den bis zum vorgesehenen Endpunkt, dann aber, weil das Wetter so schön und wir so im Schwung waren, noch ein bisschen auf der Nr. 7 am Hang zwischen den Häusern entlang.

ein Kurhotel für Spatzen, jedem Paar ein eigenes Appartement und eine gemeinsame Sonnen-und Anflugterrasse

das kleine Extra des Tages, schon fast verputzt
nicht nur Goethe kann eine Trinkkur auch so verstehen

Auf dem Weg Nr. 9 erwarteten uns eine Menge, für das Stadtbild markante Punkte, die Mayer-Gloriette, eine Gamsbock-Skulptur, einen Imperator All-Russland, eine Überlebende der Französischen Revolution, ein gar schröckliches Gedicht, lustige Übersetzungen, noch eine Gloriette.

„und das alles ist dort drüben, schaut nur genau hin“

Links von Kay lugt der Diana-Turm aus den Wipfeln. Das runde (naja, genau genommen nur achtseitig, aber auf die Entfernung) Gebäude mit dem roten Dach rechts vom Zeigefinger ist die Mayer-Gloriette, so genannt, da Franz Mayer, erfolgreicher Geschäftsmann in Wien, aber gebürtig in Karlsbad den Bau 1804 finanzierte. Der älteste Aussichtspunkt Karlsbads wurde 2012 grundlegend renoviert.

die Mayer-Gloriette, im Hintergrund das Hotel Imperial

Etwas oberhalb befindet sich die Petershöhe (Petrova vyšina, 489 m). Dort trafen wir auf den Peter, oder auch Petr I. Imparátor Velké Rusi, und damit auch auf die lustigen Übersetzungen, denn übersetzt wurde dies mit Peter I. Imperator All-Russland. Bleiben wir mal der Einfachheit halber bei Zar Peter dem Großen (Er soll mehr als zwei Meter groß gewesen sein!). „Während der Behandlung, Peter I. spaziert jeden Morgen auf dem Berg, wo das Kreuz steht, und neben ihm er machte Gebetszeremonien. An dieser Stelle steht jetzt Denkmal des Peter I. dem Großen.“ (Auszüge aus der nahegelegenen Infotafel). Nach 1711 kam er im darauffolgenden Jahr gleich wieder. „Nach zwei Besuchen in Karlsbad, Peter I. hatte vier Jahre lang ein gutes Gefühl.“ Das ging uns ja ähnlich nach den beiden Kuraufenthalten hier. Wir sind allerdings acht Jahre danach wieder gekommen. Pjotr hatte wichtigeres vor, nämlich Krieg führen, durch Europa reisen und auf dem Wege mal in Pyrmont, mal in Spa zu kuren, seine Herrschaft zu sichern und sein riesiges Reich zu modernisieren. Wir haben auch einfach mehr Zeit auf der Erde, er starb ja schon mit 52 Jahren. 

der Imperator (Kaiser), den Namenszusatz Zar hat er gemäß der gestiegenden außenpolitischen Bedeutung Russlands 1721 abgelegt

Ein paar Schritte entfernt steht ein Obelisk mit einem Gedicht von 1834 auf Deutsch. Weil es so gar schröcklich ist, hier nur die erste Strophe: 


Das Denkmal heißt Theresienhöhe nach der „huldvollen Fürstin“. Dabei handelt es sich um Maria Theresia, das erste Kind von Marie Antoinette und Ludwig XVI., die beide während der Französischen Revolution an der Guillotine nicht vorbei kamen. Maria Theresia überlebte als einziges Kind die Revolution und durfte einen Tag vor ihrem 17. Geburtstag das Gefängnis verlassen, fand Asyl bei der österreichischen Verwandtschaft in Wien, heiratete vier Jahre später ihren französischen Cousin in Lettland, wurde mit 46 überraschend französische Königin, da ihr Schwiegervater zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtete und besaß dieses Vergnügen für genau 20 Minuten, da ihr Mann dann ebenfalls die Abdankungsurkunde unterzeichnete. Kein Wunder, dass sie drei Jahre später zur Kur nach Karlsbad musste!

Der „Carl“ im Gedicht ist natürlich unser alter Bekannter Kalle Vier. Seine Legende die Gründung Karlsbads betreffend geht so:

Während des Aufenthaltes auf seiner Burg in Loket, 16 km zu Fuß von Karlsbad entfernt, geht er natürlich in den umliegenden Wäldern Hirsche jagen. Plötzlich jault einer der Jagdhunde auf, ist aber nicht vom Wild angefallen worden, sondern in heißem Wasser gelandet. Autsch! König Kalle, ganz schlau, kommt natürlich sofort auf die Idee, die heißen Quellen für die Gesundheit zu nutzen, und schwupps, ist Karlsbad gegründet. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall war da auch noch was mit dem Hirschen, der einen unglaublich weiten Sprung gemacht hat, um sich vor Pfeil und Bogen zu retten. Deshalb heißt das Ausflugslokal dort auch Hirschsprung (Jelení skok). 

Die Legende lebte fort und führte ein gutes Leben, wurde immer fetter, bis dann Mitte des 19. Jahrhunderts Baron August Friedrich von Lützow aus Norddeutschland nach Karlsbad zog. Ihn nervte der unkritische Umgang mit der Sage gewaltig, denn er war der Meinung, dass keinesfalls ein Hirsch, sondern höchstens eine Gämse über den Felsen hätte springen können. Da der endlose Streit mit den Ratsherren von Karlsbad zu keinem Erfolg führte, ließ er einfach von seinem Lieblingsbildhauer aus Berlin, der ihm schon viele Plastiken für seinen Garten geschaffen hatte, eine Gämse anfertigen, damit man sehen konnte, was er vergeblich zu erklären versuchte. Sie wurde dann 1851 auf dem Felsen montiert. Da das niedliche Tierchen sofort eine viel besuchte Attraktion wurde, trauten die Ratsherren sich auch nicht, sie wieder zu entfernen.

der Hirschsprungfelsen mit dem Gämslein

Blick auf die Lützow-Villa, im Bildmittelgrund links allein stehend im Park

Aber auch schon ganz zu Beginn der Wanderung fanden wir etwas Neues. Auf dem Weg zum Anfangspunkt des Wanderweges Nr. 9 kamen wir an einem offen stehenden schmiedeeisernen Tor vorbei, das sonst nie offen stand. „Wo geht es denn da hin?“ Noch beim Fragen gingen wir schon hindurch und landeten oben auf der Mühlbrunnenkolonnade. Als wir vor acht Jahren das letzte Mal hier waren, konnte man das Obergeschoss der Mühlbrunnenkolonnade (die aus Casino Royale) nicht betreten, Baufälligkeit, Statikprobleme oder so etwas. Jetzt geht es und zusätzlich gibt es eine Fotoausstellung zur Geschichte der Kolonnade. Anscheinend wurde ein Teil des Filmgeldes dafür genutzt. Uns hat es gefreut.

Blick von der oberen Außenterrasse der Mühlbrunnenkolonnaden Richtung Thermal-Hotel

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